Benjamin Rost hat 2009 bei uns an der BAF studiert und ist mittlerweile erfolgreicher Filmregisseur und Drehbuchautor.
Mit seinem aktuellen Film “Harraga – Those who burn their lives” (z.dt. Harraga – Marokkos verlorene Kinder) hat Benjamin mit seinem Team über 5 Jahre lang marokkanische Kinder und Jugendliche in den Höhlen von Melilla portraitiert, wie sie dort ihre eigene Mikrogesellschaft aufgebaut haben.
Worum es genau in dem Film geht, wie es zu der 5-jährigen Dokumentation dieser Geschichte kam, was sich Benjamin für den Film wünscht und wie auch die BAF zu seinem Werdegang beigetragen hat, erzählt er uns im Interview.
Hi Benjamin! Erzähl doch mal kurz: Wer bist du und was machst du eigentlich?
Mein Name ist Benjamin Rost, ich bin Regisseur, vorwiegend für Dokumentarfilme, und konzentriere mich auf lange, sozial-politische Filme, die Menschen im Mittelpunkt haben. Mein letzter Film ist HARRAGA – Those who burn their lives, der eine Gruppe von marokkanischen Kindern und Jugendlichen in den Höhlen von Melilla porträtiert. Wir haben sie über fünf Jahre begleitet, wie sie in den Höhlen um den Hafen ihre eigene Mikrogesellschaft aufgebaut haben und nachts in den Hafen einbrechen, um es auf die Schiffe ans europäische Festland zu schaffen. Einer der Protagonisten, Imad, studiert heute Robotik und ist Gym-Model. Mit ihm touren wir gerade auf einer Kino-Tour durch Deutschland. Alle Dates dazu findet man auf der Webseite: www.harraga-film.com

Wie bist du zum Film gekommen? Und wie hat dir die BAF dabei geholfen?
Ich bin über das Schreiben zum Film gekommen und wollte schon als Kind Journalist werden. Ich habe dann ein Praktikum beim Fernsehen gemacht und fand das noch besser. Auf der BAF konnte ich dann meine ersten Schritte gehen und habe nach dem Abschluss auch gleich als Autor beim BR angefangen. Das war toll, ich konnte mich ausprobieren, habe aber festgestellt, dass ich schnell an Grenzen stoße. Nach einem Philosophiestudium, das ich mehr als Alibi für meine Eltern gemacht habe, habe ich dann nochmal Filmregie an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert. Dass ich dort aufgenommen wurde, habe ich bestimmt zu einem Teil auch der BAF zu verdanken, weil ich einfach wusste, wie man mit einer Kamera umgeht.
Was fasziniert dich an dem Genre Dokumentation?
Bis heute liebe ich vor allem Dokumentarfilme dafür, dass ich jeden Tag neugierig sein darf und in andere Leben schauen kann. Ich liebe es, stundenlang zuzuhören oder zuzusehen. Ich werde ständig überrascht und darf von den Protagonisten lernen. Ich sehe meine Projekte immer als Kollaboration mit den Protagonisten und lasse sie oft aktiv am Prozess mitarbeiten. Daraus entsteht auch eine große Nähe, die man im Film spürt. Das ist sehr inspirierend und wunderbar. Außerdem glaube ich, dass Dokumentarfilme wirklich etwas erreichen können, vor allem wenn man mit den Protagonisten zum Dialog aufruft. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir nach der schönen Festivaltour HARRAGA jetzt auch ins Kino bringen können. In unserem Fall geht es vor allem darum, auf die Situation aufmerksam zu machen, in der tausende Kinder und Jugendliche ohne Papiere in der Illegalität auch bei uns Tür an Tür leben, ohne dass wir davon wissen. Es braucht Anlaufstellen und Hilfe.
Wie kamst du auf das Thema von „Harraga“?
Ich habe 2016 am Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise gedacht: ich muss an die Grenzen Europas fahren. Es hat mir Angst gemacht, dass überall in dem freien Europa, das ich als Kind der 90er kennengelernt habe, Despoten anfangen, Grenzzäune aufzubauen. Also bin ich erst mit meinem Produzenten Márk Szilágyi nach Ungarn gefahren und dann an den größten Grenzzaun Europas. Der steht absurderweise in Melilla, der spanischen Exklave auf der marokkanischen Seite. Er ist 12 Meter hoch, elektrifiziert und wird auf beiden Seiten mit Waffen bewacht. Mein DOP Jonas Schneider und ich flogen also aus eigener Tasche nach Melilla, ohne eine Idee, was wir dort finden werden. Als wir eines Abends einen Sonnenuntergang am Hafen gefilmt haben, kletterten auf einmal 5, 8, 12 Kinder über die Felsen. Leute hielten uns zuerst davon ab, dorthin zu gehen, sie meinten: die sind gefährlich. Am nächsten Morgen sind wir dann über die Zäune gestiegen mit zwei Tüten Frühstück und waren fasziniert von der Welt, die wir dort vorfanden. Hunderte Kinder, die hier in den ausgespülten Felsen im Schatten des Hafens eine eigene Gesellschaft aufgebaut haben. Dort haben wir auch Imad kennengelernt. Wir verbrachten mit ihm und seiner Gruppe insgesamt zehn Tage und Nächte. Daraus wurden am Ende fünf Jahre, in denen wir ihnen immer wieder folgten.
Und ich will noch erwähnen, dass wir im Laufe des Prozesses ein deutsch-marokkanisches Team geworden sind. Ich bin dafür sehr dankbar, dass wir mit Co-Autor Hicham Bourais, der selbst jahrelang in der Illegalität in Spanien gelebt hat, immer beide Seiten der Grenze im Blick haben konnten und mit der marokkanischen Produktionsfirma Kasbah Films auch noch einen tollen Partner hatten, mit dem wir uns immer austauschen konnten. Das war sehr wertvoll, um ein umfassendes Bild zu schaffen.
Was möchtest du mit dem Film zeigen? Was wünschst du dir von den Menschen, die diesen Film sehen?
Ich wünsche mir vor allem Dialog. Es ist so schlimm zu sehen, wie rechte Parteien überall in Europa auftauchen. Ich glaube daran, dass wenn man miteinander ins Gespräch kommt, so etwas nicht möglich wäre. Wenn Imad von seiner Geschichte erzählt und man am Ende des Films nicht über ihn, sondern mit ihm sprechen kann, dann kann das wirklich etwas in den Köpfen bewegen. Ich hoffe auch, dass wir durch die Kino-Tour, bei der wir mit lokalen NGOs zusammenarbeiten – von der Flüchtlingshilfe bis zum Kick-Boy-Studio – im Dialog neue Ideen entstehen können, wie wir mit dem Leben in der Illegalität in unserer Gesellschaft umgehen. Außerdem sammeln wir Spenden für Hilfsorganisationen, die sich vor Ort für die Jungs engagieren.
Hast du schon ein nächstes Projekt?
Ja, diesmal bleibe ich in Deutschland und Österreich. Es geht um den Erfinder der Fake News in Deutschland, Michael Born, und sein bisher unentdecktes Erbe. Er hat eine Kiste mit unveröffentlichten Fälschungen und Rohmaterial hinterlassen, das wir benutzen, um nicht nur seine Geschichte als Fälscher nachzuzeichnen, sondern ihn auch mittels KI wieder auferstehen zu lassen. Der Film wird BORN TO FAKE heißen und hoffentlich im kommenden Jahr fertig werden.
Was möchtest du unbedingt noch loswerden?
Kommt ins Kino! Wir freuen uns auf euch! Und eure Gedanken!
Vielen Dank, Benjamin!
Alles Gute für deinen Weg, wir sehen uns im Kino! 🙂